Gerade eben habe ich einen Reli-Hefteintrag meines Sohnes gesehen. Es ging um die Fastenzeit. Die Kinder sollten sich überlegen, was sie fasten (möchten) und was sie stattdessen wieder mehr in Angriff nehmen wollen.
Und der Sohn schreibt: „Ich faste CORONA“. Und er schreibt: „Ich möchte wieder mehr KONTAKTE“.
Ein paar Minuten sitze ich vor diesem Hefteintrag und denke einfach immer nur, wie recht er doch hat. Wie sehr ich mir das für die Kinder, für uns, für alle wünsche.
Ich möchte auch Corona fasten, möchte dieses leidige Virus wegschieben, aus meinen Gedanken verdrängen, möchte den Blick abwenden und am liebsten so tun, als ob nichts wäre. Aber es ist da, dieses Virus. Es hält uns in Atem und auf Trab und das seit über einem Jahr.
Vergangenen Samstag, es war der 13.3., dachte ich an den 13.3.2020, Freitag der 13. Mittags traf ich zwei verschreckte Kinder mit all ihrem Kindergarten- und Schul-Hab-und-Gut und nur ganz langsam sickerte die Erkenntnis ein, dass wir von nun an alle fünf Wochen (so war das letztes Jahr erstmal geplant) zu Hause sein würden. Unser März letztes Jahr war geprägt von #wirbleibenzuhause.
Wie die Geschichte weitergeht, wissen wir alle. Und ein Jahr später, im März 2021 ist unser Lebensmotto immer noch #wirbleibenzuhause. Unser sehnlichster Wunsch ist, dass es mit den Impfungen endlich voran geht, dass Schule und Kita wieder zur Normalität werden, dass Treffen mit Freunden keine Achterbahn der Gefühle à la „Darf ich das“, „Geht das überhaupt?“, „Können wir Abstand wahren?“ auslösen. Dass wir wieder unbeschwerter durch’s Leben gehen können und Urlaubsträume wahr werden. Dass Freundschaft wieder Live und in Farbe stattfinden kann und die Gesichter der Liebsten nicht mehr über die Laptopbildschirme wackeln. Ich möchte CORONA fasten und wünsche mir, dass diese Fastenzeit niemals aufhört.
Was hat dieses Jahr mit uns gemacht? Wie haben wir es erlebt? Wie sind wir mit der Situation umgegangen?
Rückblickend fiel uns die #stayathome-Phase im letzten Frühjahr relativ leicht. Durch den ankommenden Frühling haben wir viel im Garten gearbeitet, die Familienzeit genossen und sind enger zusammengewachsen. Alles war irgendwie auch erstmal ein bisschen aufregend. Wie läuft das mit Schule zu Hause. Wie beschäftige ich das Kindergartenkind und wie geht eigentlich Home-Office. All das haben wir gut gewuppt, auch wenn manche Situationen einfach schräg und urkomisch waren. Das erste Mal z.B. mein Gesicht und meine Stimme in einem Video-Call zu sehen…super lustig, schräg und vor allem unbeholfen, war ich doch Zeit meines Lebens noch nie jobmäßig im Home-Office. Trotzdem sind wir, bis auf wenige Ausnahmen gut durch das Frühjahr 2020 gekommen. Ostern war schwierig. Noch schwieriger der 5. Geburtstag der Kleinen. Aber mit vereinten Mama-Papa-Bruder-Kräften wurden auch diese Tage etwas besonderes.
Ich habe gemerkt, dass die beiden diese Situation ganz unterschiedlich verarbeiten/verarbeitet haben. Der Große, eher insich gekehrt, wollte oft allein sein mit seinen Gedanken und hat sich ein Projekt nach dem anderen gesucht, dass er in Angriff nehmen konnte, um die Gedanken und das merkwürdige Gefühl zu verscheuchen. Die Kleine eher impulsiv, wütend, frustriert und genervt mit Wutausbrüchen, die immer mal wieder aus dem Nichts auftauchten.
Endlich, Mitte Juni gingen die Zahlen runter, die Schule startete kurz vor den Sommerferien mit einem Wechselmodell, dass uns, zugegeben, an den Rande des Wahnsinns und unserer Kräfte gebracht hat. Der Kindergarten startete wieder und trotz allem organisatorischem Durcheinander habe ich gesehen, wie die Kinder aufblühten. Ein tolles Gefühl.
Was uns besonders schwer fiel und sich immer noch bemerkbar macht – wir haben all unsere Urlaube storniert, verschoben und abgesagt. Wir sind zu Hause geblieben mit wütendem Kopfschütteln darüber, dass sich tausende Menschen auf Malle die Nächte um die Ohren gefeiert haben. Was für ein beschissenes Gefühl. Trotzdem haben sich diese Entscheidungen für den Kopf richtig angefühlt, das Herz hat gelitten. Und es leidet immer noch, denn dieses Nicht-rauskommen, keinen Abstand zum Alltag zu gewinnen, nichts anderes sehen, fehlt mir und meiner Familie bis heute so sehr.
Das neue Schul-und Kindergartenjahr im September starten wir relativ normal, die Zahlen sind niedrig, das Virus scheint weit weg. Die Kinder treffen Freunde, der Mann und ich sehen Arbeitskollegen wieder öfter vor Ort und es fühlt sich schon fast wieder ein bisschen „Normal“ an. Immer öfter wird über die Entwicklungen der Impfstoffe berichtet – ein Hoffnungsschimmer.
Wir dürfen endlich auch die Kommunion des Großen feiern, relativ normal, mit Abstand und Mundschutz in der Kirche. Aber er hatte alle Liebsten um sich, wir konnten gemütlich Essen gehen und haben insgesamt einen wunderschönen Tag verbracht. Ein so wunderschöner, bunter Lichtblick.
Immer öfter ertappe ich mich dabei zu denken – hach, wir haben es geschafft, wir haben die Pandemie im Griff. Die Kinder sind in der Schule und im Kindergarten, von drei Tagen Home-Office ist bei mir einer geblieben, die restlichen zwei verbringen ich mit lieben Kollegen an Ort und Stelle. Dieser Austausch tut gut. Trotzdem sind wir immer noch vorsichtig. Treffen, wenn überhaupt, nur einen anderen Haushalt und versuchen so viel wie möglich draußen zu machen. Aber insgesamt fühlt es sich gut an.
Doch dann Mitte November – die Zahlen steigen wieder. Es wird von der zweiten Welle gesprochen. Eigentlich geht es ja schon seit dem Sommer immer wieder um die zweite Welle, aber mein Kopf wollte und will diesen Gedanken einfach nicht wahrhaben. Die Medien nerven mich mehr und mehr. Ich stelle die Push-Nachrichten zeitenweise ab und schauen nur noch selten Nachrichten, lese keine Zeitung mehr. Es nervt, es zermürbt mich und nicht selten frage ich einfach den Mann: „Gib’s was Neues? Muss ich was beachten?“
Trotz steigender Zahlen läuft das Schul-Arbeits-Kindergartenleben erst mal weiter. Mitte November werden wir aber dann in die Realität zurück katapultiert, als wir wieder zwei Wochen zu Hause sind, weil es einen Corona-Fall in der Klasse des Großen gab. Tiefe Verunsicherung macht sich hier breit. Dieses Virus ist doch schon so nah. Angekommen bei Freunden, Verwandten, Bekannten. Wir hören von immer mehr Fällen im näheren Umfeld und oft fällt es uns schwer, die Kinder zu beruhigen, zu trösten und ihnen die Situation zu erklären.
Der Dezember ist da und mit ihm eine erneute, geballte Ladung Corona. Die Zahlen steigen weiter, befinden sich im exponentiellen Wachstum und damit verschwindet der Advents- und Weihnachtszauber. Trotzdem, vielleicht aus Eigenschutz, um nicht völlig den Mut zu verlieren, machen wir kleine, vorsichtige Pläne für Weihnachten und Silvester.
Medial herrscht immer noch ein, wie ich finde, großes Durcheinander. Einen Tag so, morgen anders und übermorgen bitte wieder zurück auf Anfang. Mal sind die Kinder in den Schulen die Pandemiebeschleuniger, mal sind es die privaten Kontakte oder, wenn es besser passt, das Arbeitsumfeld.
Ich bin einfach nur noch erschöpft und müde, ich schlafe schlecht und das Gedankenkarussell lässt sich nicht stoppen.
Nach einem Lockdown Light (den wir gar nicht richtig mitbekommen haben weil wir eh vorsichtig waren) befinden wir uns ab Mitte Dezember wieder im totalen Lockdown. Haben die Obersten so beschlossen. Allerdings ist es wohl ein sehr schlaues Virus, da an Weihnachen die, zuvor als Pandemiebeschleuniger beschuldigten Kinder, unter 14 Jahren keine nennenswerte Gefahr mehr bergen. Ich werde wahnsinnig und wütend. Frustriert von all dem Hin- und Her. Wenigsten dürfen wir Weihnachten im kleinen Familienkreis mit den Omas und Opas feiern. Unsere Silversterpläne mit Freunden werfen wir wieder über den Haufen, entschädigen uns dafür aber mit einer tollen Fackelwanderung durch den Wald.
Das neue Jahr beginnt, 2021. Wie so viele Menschen hege ich die Hoffnung, dass es in diesem Jahr vorwärts geht. Dass die Impfungen kommen und wir einen vorsichtigen aber relativ normalen Alltag verbringen können.
Aber nein, das schlaue Virus hat nach Weihnachten beschlossen, dass die Kinder in den Schulen und Kitas doch die größten Pandemiebeschleuniger sind, jetzt, da wir es auch noch mit Mutationen zu tun bekommen. Deswegen bleiben die Schulen und Kitas vorsorglich ersmal bis Ende Februar geschlossen. Acht Wochen. 34 Tage Home-Schooling und Home-Kindergarten. Ja, liebe Eltern, das haben wir gewuppt. Gefragt, wie es uns dabei geht hat keiner. Und so leid es mir tut, das wird auch in Zukunft keiner tun. Dringend müssten die Schulen und Kitas geöffnet werden. Die Kinder würden unter diesen Umständen leiden, psychische Krankheiten davontragen, das Lerndefizit würde sich deutlich zeigen. Stattdessen wird oft genug über irgendwelche Ladenöffnungen diskutiert. Stimmt, die Kinder waren ja die Pandemiebeschleuniger, deswegen bleiben sie zu Hause.
Ja, ich werde sarkastisch hier, richtig wütend und ich haben noch kein sinnvolles Ventil gefunden. Ich fühle mich permanent unter Druck gesetzt, ja alles richtig zu machen, all die Dinge im Kopf zu behalten, die ich beachten muss.
Der Große darf wieder in die Schule – täglicher Wechsel. Die Kleine ist in der festen Gruppe im Kindergarten. Für jeden gilt etwas anderes. Maske ja, Maske nein. Bei Erkältungskrankheiten so, dann wieder anders und es hagelt Schreiben aus dem Kultusministerium, die ich als nicht juristisch-politisch-bewanderte Person versuche zu entziffern und mir die wichtigsten Details zu merken.
Ich finde es furchtbar, dass Kinder die ledigtlich einen leichten Schnupfen haben, und die ich zu ihrem eigenen und dem Schutz der anderen zu Hause lasse, getestet werden müssen und nur zurück in die jweilige Einrichtung mit einem negativen Testergebniss dürfen. Jeder, der Kinder hat weiß, wie oft diese durch die Gegend rotzeln und Schnupfen haben. Ich könnte also theoretisch beim Arzt meines Vertrauens einziehen, denn die vielgepriesenen und hochgelobten Selbsttests zählen nicht und werden nicht angenommen.
Bitte versteht micht nicht falsch, ich bin absolut für das Testen und würde das auch jederzeit bei mir und meinen Kindern machen lassen. Aber dann, wenn ein begründeter Verdacht besteht und nicht weil das rotzelnde Kind außer einer laufenden Nase nichts weiter hat.
Hier sitze ich also nun, Mitte März, harre der Dinge die da kommen oder auch nicht. Ich gewöhne mich an Zahlen, wie 50 und 35 – das neue 50 und an Inzidenzwerte, die zwischen 50 und 100 liegen, wir tragen Masken, sind weiterhin vorsichtig und hoffen, dass die Impfungen endlich Fahrt aufnehmen. Geändert hat sich nicht viel, wir sind immer noch und genauso erschöpft und müde und versuchen uns trotzdem immer wieder aufzurappeln. Für unsere Kinder, für uns selbst und unser Familienleben.
Das hier ist ein sehr persönlicher Text und ich weiß, dass es bei vielen Dingen, Gedanken und dem hier Geschriebenen andere Ansichten gibt. Das hier ist meine Sicht auf die Dinge, das momentane Alltagsgeschehen und unser Familienleben. Das sind meine Gefühle in Bezug auf das Pandemiegeschehen und mein ganz persönliches Empfinden als Mama zweier Kinder, die diese Pandemie mit voller Wucht getroffen hat, die aber, trotz aller Erklärungen nur ansatzweise begreifen können, was hier gerade vor sich geht. Und ja, mir geht es immer öfter genauso.
Es bleibt die Hoffnung. Die Hoffnung auf Frühling und Sonnenschein. Die große Hoffnung auf Impfungen. Die Hoffnung auf ein schönes Osterfest und eine tolle Geburtstagsfeier der Kleinen. Die Hoffnung auf Urlaub und die ganz große Hoffnung, dass wir gesund bleiben und dieses Virus endlich besiegen. Denn ich möchten endlich, endlich CORONA fasten.
Bis bald!